Raoul Pictet - Exposition Nationale Suisse Genève 1896

Schweizerische Landesausstellung Genf 1896 Offizieller Führer - Livret - Booklet

Ref. Schweizerische Landesausstellung Genf 1896 - Offizieller Führer - Genf 1896 - 1. Mai - 15 Oktober
page 173 - 176

 

Pavillon Raoul Pictet.

Dies ist nicht die geringste der Merkwürdigkeiten unserer Ausstellung. Der Pavillon Raoul Pictet ist in dem Winkel gelegen, den der Boulevard de l’Exposition mit der Avenue de l‘Agriculture bildet. Es ist eine weite Halle mit rechtwinkliger Basis. Sie umfasst drei beinahe gleich grosse Teile: im Mittelbau die eigentliche Ausstellung der von R. Pictet erfundenen Maschinen, rechts ein Amphitheater mit 500 Plätzen und links ein Ausschank mit einem gedeckten Garten.
Im Mittelbau findet der Besucher, von der rechten Seite eintretend, zwei Luftpumpen und drei Kompressoren, dazu bestimmt, die notwendigen tiefen Temperaturen zu erzeugen. Die erste Maschine erzeugt die sog. Flüssigkeit Pictet (eine Verbindung von Schwefelsäure-Anhydrit und Kohlensäure-Anhydrit), mit welcher man Kältetemperaturen von 100—110° erlangen kann. Die zweite Maschine verflüssigt Stickstoff-Protoxyd, was eine Kälte von 160—165° erzeugt. Der dritte Apparat führt die Luft in flüssigen Zustand über, bei einer Kälte von 213°.
Es ist hervorzuheben, dass Herr Pictet der einzige Gelehrte ist, dem es gelungen ist die Temperaturen zu erreichen, die sich am meisten dem 273. Grad unter Null nähern, d. h. der grössten Kälte, die existieren kann, wie dies zahlreiche Experimente berühmter Gelehrten dargethan haben.
Diese tiefen Temperaturen haben nebst ihrer ungeheuren theoretischen Wichtigkeit für die physikalischen, chemischen und biologischen Forschungen ein beträchtliches praktisches Interesse. Sie gestatten das Chloroform durch Gefrieren zu reinigen, die Parfümerien zu verbessern, die Liqueure zu verfeinern, indem man ihnen in einigen Stunden die Eigenschaften verleiht, welche sie sonst nur im Lauf der Jahre gewinnen. Hübsche junge Mädchen verkaufen dem Publikum Pictet‘s Produkte, die unter seinen Augen fabriziert wurden.
Noch im Mittelbau, aber zur Linken, sieht der Besucher eine der berühmten Eismaschinen, System Linde, im Betrieb, und noch weiter den von Pictet erfundenen Apparat zur Herstellung des flüssigen Sauerstoffs. Der flüssige Sauerstoff wird nach seiner Fabrikation in Gefässe geleitet, aus welchen er durch einen Regulateur austritt, indem er sich hierbei in ein Leuchtgas verwandelt, welches sehr geschätzt wird, seit die Reinigung desselben durch Herrn Pictet ermöglicht wurde. Alle diese Maschinen wurden von drei Schweizer Firmen geliefert: von den Herren Burkhardt, Escher, Wyss & Cie, und Gebrüder Sulzer von Winterthur, welche bei dieser Gelegenheit grosse Opfer gebracht haben, ebenso wie die Gesellschaft für elektrische Industrie in Genf, welche die Dynamos lieferte, die durch die elektrische Kraft der Werke von Chèvres gespeist werden.
Die Beleuchtung geschieht teils durch Elektrizität, teils durch den Stickstoff welcher in neuen Lampen gebrannt wird: die letzte Erfindung Raoul Pictet‘s. Das Publikum kann eine interessante Vergleichung der verschiedenen Beleuchtungsarten anstellen, die heute gebraucht werden, denn infolge der neuen Brenner erhält man ein Licht, welches in jeder Beziehung mit dem elektrischen wetteifern kann und in vielen Fällen billiger zu stehen kommt.
Das Amphitheater mit seinen 500 Plätzen dient für die Vorträge, welche Herr Pictet über die Wärmelehre hält, eine Wissenschaft, die sich mit dem Zusammenhang von Arbeit und Wärme beschäftigt. Infolge des grossen Namens des Vortragenden und der neuen Experimente, welche durch diese merkwürdigen Maschinen ausgeführt werden, dürften diese Sitzungen einen der grossen Anziehungspunkte der Ausstellung sein.
Im gleichen Lokale werden verschiedene andere schweizerische und fremde Gelehrte in allgemein verständlicher Weise über die interessantesten wissenschaftlichen Gegenstände sprechen.
Ungefähr 15 Kongresse, die in Genf abgehalten werden, haben bei Herrn Pictet um die Benutzung des Amphitheaters nachgesucht. Er hat ihnen dieselbe bereitwilligst zugestanden.
Die Ausschankstelle auf der Seite der Maschinenhalle ist aufs geschmackvollste eingerichtet. Sie ist von Hrn. Neret gehalten und bildet eine Art Sommergarten mit gleichmässiger, angenehm kühler Temperatur, welche durch eine sinnreiche Ventilation erzielt wird. In der Mitte des Gartens spielt ein eigentümlicher Springbrunnen, der nach den Angaben von Gebrüder Sulzer errichtet wurde. Das Ungewöhnliche daran ist, dass das Wasser als Eis niederfällt, so dass die prachtvollen Gebilde entstehen, welche wir in kalter Winterszeit an schönen Wasserfällen bewundern.

 

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